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Ein Dienst fürs eigene Land? Gut – aber bitte ohne Zwang
Aktualisiert: 10. März 2022
Alle sind sich einig: Die Bundeswehr steht schlecht da. Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht kann aber nicht die Antwort darauf sein. Die Zeiten, in denen man die Bürger mit Zwang überzeugte, sind vorbei – siehe Impfpflichtdebatte. Es gäbe eine bessere Lösung.
Ein Schreckgespenst geht um. Es wird „Wiedereinführung der Wehrpflicht“ genannt, denn in Folge von Putins Überfall auf die Ukraine beginnt gerade eine gründliche Bestandsaufnahme unserer Wehrfähigkeit.
Das Ergebnis scheint ernüchternd: Wir können zwar unglaublich viele Beraterverträge, drei Bundesverteidigungsministerinnen am Stück und den ersten offen transsexuellen Kommandeur der Bundeswehr vermelden, aber ob das Sinn und Zweck der 2011 gestarteten Streikräfte-Reform war, ist gelinge sagt zweifelhaft: „Das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da“, meinte Generalleutnant Alfons Mais, der Inspekteur des Heeres, vor Kurzem und reihte sich mit dieser Kritik in eine Vielzahl gleichlautender öffentlicher Aussagen ein.
Es scheint also so zu sein, dass wir eine einstmals intakte Armee durch Bürokratie und Mangel an Kompetenz in Grund und Boden verwaltet haben. Folgerichtig dazu wird jetzt aufgeregt weitergestümpert und die Wiedereinführung der Wehrpflicht gefordert. Als ob die bloße Anzahl von Bürgern, die zwangsweise in Uniformen gesteckt werden, einen mit kalter Wut agierenden Tyrannen davon abhalten könnte, sein Nachbarland zu überfallen.
Die Bundeswehr muss vielmehr von der Unprofessionalität und der Halbherzigkeit von Politik und Gesellschaft befreit werden. Ihre Führung sollte ausnahmslos gedient haben, bevor sie in Berlin Einfluss ausüben kann, und ihrer mittleren und unteren Führungsebene gehört mehr Gehör bei der Beschaffung und Ausbildung eingeräumt. Dies ist aber ein eigenes Thema, das in einem kurzen Artikel wie diesem nicht befriedigend abgehandelt werden kann.
Anders verhält es sich mit dem Vorschlag, die Wehrpflicht wiederherzustellen. Da passen die Gedanken auf den sprichwörtlichen Bierdeckel.
Die Idee eines allgemeinen, zeitlich begrenzten Dienstes für das eigene Land ist an sich nicht schlecht. Aber man sollte ihn nicht verpflichtend machen, sondern breit und mit Anreizen aufstellen. Parallel zur Wehrpflicht bestand noch bis 2011 die Möglichkeit, Zivildienst zu leisten. Es ist heute unbestritten, dass die „Zivis“ durch ihre Arbeit und ihren oft auch ideellen Einsatz Pflegekräfte und sozialgesellschaftliche Einrichtungen stark unterstützen konnten.
Durch den Wegfall dieser früher auch Ersatzdienst genannten Verpflichtung rumpelte es folgerichtig auch in Krankenhäusern, Altenstiften und Kindergärten. Um nur einige wenige dieser wichtigen Einrichtungen zu nennen. Ich wage zu behaupten, dass die Corona-Pandemie mit den zahlreichen Zivildienstleistenden der Vergangenheit besser zu bewältigen gewesen wäre.
Aber wie die spaltende Diskussion um die Impfpflicht gerade eindrucksvoll belegt, erreicht man mit Zwang keine Erfolge mehr in unserer Gesellschaft. Anstelle von Zwang gilt es vielmehr, Anreize zu schaffen. Vor allem dann, wenn man den Bürger zu etwas bewegen will, was auf den ersten Blick für ihn persönlich unvorteilhaft erscheint.
Das bereits existierende „Freiwillige Soziale Jahr“ (FSJ) hat viel Gutes, krankt aber an zwei wesentlichen Punkten: Der Zeitraum ist zu kurz und der Anreiz, es anzutreten, ist zu gering. Ich schlage hiermit für einen zukünftigen Dienst einen Zeitraum von 15 Monaten vor, freiwillig und in allen Bereichen zu absolvieren, die dem Staat nützlich sind. Militär, sozialer Dienst, Katastrophenschutz, freiwillige Feuerwehr, Umweltschutz und andere.
Zu diesem Dienst verpflichten können sich alle Bürger dieses Staates, die zwischen 18 und 25 Jahre alt sind. Bezahlt wird ein geringes Grundeinkommen, damit klar wird, dass es sich nicht um einen Job, sondern um ein Engagement handelt. Die Gegenleistung des Staates beginnt nach dem 25. Lebensjahr: Jeder Bürger, der diesen wie bei der Wehrpflicht zentral zu lenkenden Dienst absolviert hat, erhält bis zur Rente einen deutlich höheren Steuerfreibetrag als derjenige, der ihn nicht antreten wollte.
Elementar ist hier, dass der Bürger zeitlich flexibel antreten kann, was für die eigenen Ausbildungspläne und die weiteren Berufsziele sehr wichtig ist. Ein weiterer Vorteil: Nach einer ersten Ausbildung, einem höheren Schulabschluss oder Studium kann man diesen Dienst bewusst nutzen, um Berufserfahrungen in einem fremden Umfeld zu sammeln, seinen Berufswunsch zu überprüfen oder sogar in einen dieser Bereiche auf Dauer zu wechseln.
Kommt man mit diesem Ansatz auf die momentanen Probleme der Bundeswehr zurück, so ergeben sich durch ihn einige Möglichkeiten:
Man hätte wirklich freiwillige und daher motivierte Bürger in Uniform am Start, die durch ihre pure Anwesenheit erschweren würden, dass sich im geschlossenen Verbund der Berufssoldaten radikale Ansichten verbreiten. Durch die zentrale Steuerung dieses Dienstes kann man durch flexible Angebote die personelle Stärke der Bundeswehr schneller an weltpolitische Entwicklungen anpassen. Die Nachwuchsrekrutierung könnte zum großen Teil aus diesen Freiwilligen erfolgen. Die Reserve der Bundeswehr wäre zahlenmäßig breiter in der Gesellschaft verankert.
Wir sollten also auf unserem Bierdeckel das Wort „Wehrpflicht“ durchstreichen und stattdessen den Satz schreiben: „Breites, flexibles und nachhaltig attraktives Angebot für ein umfassendes Engagement der Bürger.
Das wäre sicherlich erfolgversprechender.
Artikel wurde am 7.3.2022 bei der WELT veröffentlicht:
https://www.welt.de/debatte/kommentare/article237382107/Wehrpflichtdebatte-Ein-Dienst-fuers-eigene-Land-Gut-aber-ohne-Zwang.html?icid=search.product.onsitesearch