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Der Regisseur Tom Bohn mag keinen «Tatort» mehr drehen.

Herr Bohn, bei Twitter haben Sie letztens geschrieben, das Leben mit der Berufsbezeichnung «Tatort»-Regisseur sei kompliziert geworden, jeden Montagmorgen schüttle der Bäcker nur seinen Kopf. Den letzten «Tatort» habe ich vor anderthalb Jahren gedreht. Ich drehe in Zukunft keinen mehr. Kategorisch? Kategorisch. Es kommen gerade interessantere Projekte.
Was ist passiert? Erst einmal, ganz wichtig: Ich bin dem «Tatort» sehr dankbar. Ich habe dreissig Jahre lang immer wieder welche gedreht und konnte sehr gut davon leben.
Wie viele waren es? 17, 18? Immer mit eigenen Büchern. Der «Tatort» hat es mir ermöglicht, als Filmemacher eine Familie zu ernähren. Voller Kühlschrank, die Kinder konnten Ausbildung machen. Gerade in den Anfangsjahren war es die tollste Zeit, mit einem Fernsehspielchef, Dietrich Mack vom SWR, der die Leute hat machen lassen.
Sie hatten alle Freiheiten? Wir haben ganz schräge Sachen gemacht. «Tod im All», da ist ein Ufo geflogen. Die Kritik hat sich damals furchtbar aufgeregt. Oder wir haben mit einem Mord beim Militär die Bundeswehr verärgert. Einmal haben wir das Hollywood-Zeichen in Baden-Baden auf dem Hügel nachgebaut, weil der Fall in Los Angeles gespielt hat. Verrückte Sachen. Aber über die Jahre hat sich einiges verändert.
Ihnen wird mehr reingeredet? Ja. Auch politisch. Ich bin ein paar Mal angeeckt mit Themenvorschlägen: Eine Geschichte über Flüchtlingshelfer in Afrika und Dealer im Görlitzer Park schwebte mir vor. Da bin ich nicht mit durchgekommen.
Warum nicht? Man könnte es falsch verstehen. Es könnte den Rechtsradikalen zuspielen. Es hiess: «Ist gefährlich zurzeit, machen wir nicht.» Dahinter steht noch nicht einmal eine politische Linie, sondern es ist einfach die Sorge, in einem falschen Licht dazustehen.
Können Sie das ausführen? In meinem letzten «Tatort» ging es um eine Links- und eine Rechtsradikale, beide sind auf der Flucht: Sie wissen nichts von den politischen Einstellungen der jeweils andern, lernen sich kennen und finden sich sehr sympathisch. Bis ihnen klar wird, wofür die andere steht, und sie anfangen, sich zu bekämpfen.
Ja, und? Es entbrannte eine grosse Diskussion. Die beiden Radikalen dürften nicht zu sympathisch wirken, da müsse man aufpassen. Immer wieder wurde nachkorrigiert, am Ende hatten wir ungefähr elf Drehbuchfassungen. Von der ursprünglichen Idee ist noch die Hälfte übrig ge- blieben. Es ist der klassische Fall: Man glaubt, dem Zuschauer alles erklären zu müssen. Es darf bloss nicht jemand etwas missverstehen. Dahinter steckt die Angst, in der Öffentlichkeit für einen Nazi gehalten zu werden oder für einen radikalen Linken, für einen Pädophile freund, für einen Homosexuellenverurteilenden, einen AfD-Nahen . . .
Woher kommt diese Angst? Das frage ich mich auch. Bei den Sendern hätten die Leute doch gar keinen Grund, Angst zu haben. Sie sind festangestellt und bekommen am Monatsende ihren Lohn. Im Gegensatz zu uns Freiberuflern. Wir müssten viel eher Angst haben. Ich müsste Angst haben, einen zweideutigen Film zu machen, der sich politisch nicht klar positioniert und abgrenzt. Aber ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen. Damit nämlich die Leute wieder diskutieren, das ist doch wichtig.
Wie läuft es ab? Sie haben eine Idee und gehen damit auf den Sender zu?
Genau. Bei den Flüchtlingshelfern habe ich eine ausgiebige Recherche gemacht: Was ist das für ein Geschäft, wer verdient alles mit in Deutschland? Dann gehe ich damit auf die Redaktion zu. Die fragen sich erst einmal: Passt das zu unserem Kommissar? Anschliessend schreibe ich ein Exposé. Darauf folgt das Treatment, die Drehbuchfassung, dann die Abnahme. Heute gibt es aber bereits im Exposé mehrere Stufen. Es entscheidet nicht mehr eine einzelne Person, sondern es wird intern immer wieder weitergereicht und gefragt: Geht das?
Die Einmischung geschieht also in der Entwicklungsphase? In der Besetzung kommen dann noch andere Fragen hinzu. Man achtet darauf, multikulturell zu besetzen, was ja auch völlig in Ordnung ist! Eine Zeitlang waren die Gefährlichen immer die Türken, das fand ich furchtbar. Dass wir Diversität bei den Kommissaren haben: super. Nur muss man bei den Tätern nun auch wieder sehr genau aufpassen, dass es nicht so oder so aufgefasst wird.
Zurück zur Flüchtlingshelfer-Geschichte: Durften Sie ein Exposé schreiben? Ich habe die Idee nur pitchen können. Die Geschichte, die ich recherchiert hatte, fing bei den Flüchtlingshelfern in Nordafrika an und ging bis zu den Dealern im Görlitzer Park in Berlin. Ganz gezielt werden Leute aus den Flüchtlingsströmen herausgeholt, die dann als Dealer auf die Strasse geschickt werden, und zwar von ihren eigenen Landsleuten. Das ist interessant, den Stoff hätte ich wahnsinnig gerne umgesetzt.
Könnte man daraus nicht statt einem «Tatort» einen Spielfilm machen?
Zurzeit nicht, nein. Weil es dafür auch einen öffentlichrechtlichen Sender braucht und keiner den Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit riskieren will.
Aber Ihre Intention ist doch eine ganz andere. Darum geht es nicht. Es könnte missverstanden werden. Das hört man immer wieder. Es könnte nicht so verstanden werden, wie es die politische Korrektheit erfordert. Ich verorte mich selber als sozialliberal, und ich will gerne Diskussionen anstossen.
Waren Sie deshalb an der Aktion Allesdichtmachen beteiligt, die gegen die Corona-Politik in Deutschland protestierte? Inhaltlich war ich nicht involviert. Man hatte mich angefragt, und ich habe die Texte gelesen, fand sie persönlich aber nicht so berauschend. Schliesslich habe ich zwei, drei Kollegen für die Aktion empfohlen. Als hinterher so vehement gegen die Teilnehmer agiert wurde, habe ich gesagt: Es ist komplett in Ordnung, wenn jemand seine Meinung sagt. Kultur sollte provozieren können. Mir ging diese Hexenjagd schwer gegen den Strich, deshalb habe ich mich positio- niert. Wenn man sich nicht um die Ränder der Gesellschaft kümmert, wenn man sie ausgrenzt, werden sie immer radikaler. Irgendwann knallt’s. Ein anderes «Tatort»-Beispiel, ich sage schon lange: Eigentlich müsste man einmal einen Kommissar haben, der bei seinen Kollegen offen zugibt, die AfD zu wählen.
Ihr Ernst? Es wäre meine perfekte «Tatort»-Konstellation: Ein latent fremdenfeindlicher, das Gendern hassender Hauptkommissar, der politisch rechts aussen steht und im Team mit einer sozial engagierten, ökologischen Kommissarin zusammenarbeiten muss, die ihm das Leben zur Hölle macht. Er wäre eine Figur wie damals das Ekel Alfred Tetzlaff.
Das reaktionäre Familienoberhaupt aus der Serie «Ein Herz und eine Seele».
Und die Kommissarin stelle ich mir vor als einen straighten Kracher wie unsere Aussenministerin. Die zwei beharken sich persönlich, schätzen sich aber klammheimlich im Dienst und sind miteinander sehr erfolgreich. Was man da erzählerisch alles für Möglichkeiten hätte! Ich habe es einmal vorgeschlagen bei einem Sender, was denken Sie, was da los war?
Dabei wäre dieser «Tatort» bestimmt ein Hit. Natürlich wäre das ein Hit. Aber es traut sich niemand.
Interview: Andreas Scheiner, Berlin